Was in Deutschland eher selten vorkommt, und wenn doch, dann fühlt sich frau eher unangenehm, ist in Argentinien normal und eher unverschämt, wenn man es nicht tut. Es heißt, es würde die Frau ehren. Naja, ob man es so ausdrücken kann, ist eine andere Sache, aber jede Frau kann ihre eigene Geschichte über die sogenannten „Piropos“ (Komplimente) erzählen. Hier ist meine:
Ich ging über die, nun ja, nicht gerade leere Straße und konzentrierte mich erst einmal darauf a) das Internetcafe zu finden, b) nicht beklaut zu werden und c) nicht angefahren zu werden. Es war mein erster richtiger Tag in Argentinien. Mist, dachte ich, was gucken die hier alle so blöd? Welcher Reiseführer hat noch mal gesagt, in Argentinien gebe es ungefähr so viele Blondinen wie in Deutschland? Das entsprach wohl nicht ganz der Wahrheit. Dabei bin ich noch nicht einmal blond, eher brünett.
„Que linda que sos!“ (Wie schön du bist), brüllte ein Bauarbeiter von der anderen Straßenseite aus hinüber, und promt fingen auch schon die restlichen Männer auf der Straße an mir Dinge wie „Hermosa!“ (wunderschön), „Tenés los pechos lindos!“ (Du hast schöne Brüste), „Que hace una nena tan linda sola en la calle?“ (Was macht ein so schönes Mädchen alleine auf der Straße?“ oder auch kreativeres wie „Regalo de dios!“ (Geschenk Gottes), sowie unverschämte Angebote für tolle Nächte zu zweit (oder zu dritt, äh?). Ich verstand damals zwar noch nicht alles, aber ich konnte mir durchaus denken, was diese tollen „Komplimente“ bedeuteten. Mir war es zum einen peinlich, dass nun die ganze Straße zu mir rübergaffte, andererseits überlegte ich ob das hier als Frechheit oder als Kompliment galt. Ich entschied mich, nach langer Internetrecherche, mich mit letzterem abzufinden, und so sah es allem Anschein nach auch aus. Die anderen Tage wurden nicht anders. Komplimente und Pfiffe von allen Seiten, zum Teil auch aufdringliche Männer, und es war egal wo. Auf der Straße, im Bus, in der U-Bahn, in Geschäften, selbst im Lufthansabüro von Buenos Aires. Da fühlte man sich, obwohl es natürlich manchmal nervte, gleich selbstbewusster, schöner und als was Besonderes. Frei nach dem Motto: „Tja, Mädels da drüben in Deutschland, so begehrt seid ihr wohl nicht!“. Natürlich musste man auch die passende Reaktion zeigen, und das war anfangs nicht leicht. Natürlich war das erst einmal eine Art Reflex zurück – oder rüberzuschauen, wer mir denn da so schöne Worte sagte (oder brüllte), sah er gut aus oder war es einfach ein 50-Jähriger, der gerade nichts besseres zutun hatte. Doch das war das Schlimmste was ich machen konnte: Zurückschauen, lächeln, oder schlimmstenfalls etwas sagen wirkt auf die Männer wie der Satz „Ich habe Interesse an dir und wir könne gerne gleich in die Kiste steigen!“. Argentinierinnen, die nicht gerade vorhaben den selben Tag noch mit einem wildfremden Mann ins Stundenhotel zu gehen, gehen eiskalt an den Männern vorbei und verziehen keine Miene. Auch nicht, wenn der nette Junge aus dem Kiosk einfach mal nebenbei erwähnt, dass man schöne Augen hätte. Nein, es wird weder gesagt „Was fällt dir ein so mit mir zu reden?“ noch „Oh, dankeschön.“ Und erst recht nicht „Nein, ich bin doch gar nicht schön.“ Unsicherheit ist das Schlimmste, was einem in den Straßen von Buenos Aires wiederfahren kann, denn das erhöht nicht nur die „Chance“ audringliche Lover (oder auch Stalker, wie eine Freundin von mir) zu bekommen, sondern auch beklaut, vergewaltigt oder was auch immer zu werden.
Man könnte natürlich denken, dass es ja für eine Argentinierin oder generell eine Frau in Buenos Aires leicht wäre, einen Freund zu bekommen. Natürlich, wenn man auf das Hinterhergepfeife reagiert, ist der Mann an einem interessiert. Die Frage ist nur, ob er eine Beziehung oder Sex möchte (letzteres sowieso immer, die Beziehung hängt entweder davon ab oder ist von Anfang an, allerdings in den seltesten Fällen, gewollt). Und noch einmal zu dem Thema „Ich muss ja schon sehr hübsch sein, wenn ich allen Männdern auf der Straße den Kopf verdrehe!“: Argentinische Männer sind Machos. Nicht unbedingt, weil sie Frauen unterdrücken, auch nicht, weil sie die größten und breitesten Kanten sind, nein, der Machismo in Argentinien bedeutet Sex und Frauen. Wer die meisten Frauen hat, ist der King. Das ist anderswo natürlich auch nicht anders, aber in Argentinien lernen die Jungs von klein auf, wie man eine Frau erfolgreich (oder eben auch nicht) anbaggert. Sprich: Jede Frau auf der Straße die nicht gerade superdick oder superhässlich ist und das auch noch unter 30 Jahre, muss mit Komplimenten, Pfiffen, und speziellen Angeboten rechnen. Egal ob blond, brünett oder rothaarig. Natürlich haben Blonde manchmal Vorrang, aber nicht beim Thema Beziehung oder Liebe, dann doch eher als Frau für eine Nacht. Die argentinischen Frauen sind übrigens auch nicht ganz unschuldig, obwohl sie die anzüglichen Kommentare der Männer größtenteils ignorieren. Sie ziehen sich ja nicht unbewusst, äh, freizügig an und gehen in Discos von denen sie genau wissen, was sie dort erwartet. Nein, der Rock muss kurz sein und das Top bitteschön bauchfrei und eng, am Besten man sieht noch den BH durch. Nicht, weil sie unbedingt jemanden aufreißen wollen, sondern weil sie Bestätigung bekommen wollen, und es natürlich gilt: „Je freizügiger, desto mehr Aufmerksamkeit der Männer.“ Sowohl die Männer als auch die Frauen in Argentinien verlieren ihre Jungfräulichkeit schon sehr früh, ich habe glaube ich zwei Jungfrauen die älter als 13 waren kennengelernt. Es heißt: Hast du Sex, wirst du zum Mann/zur Frau. Tja, und was wollen sowohl kleine Jungs als auch kleine Mädchen? Dabei kommen natürlich oftmals ungewollte (oder auch gewollte, und das mit 15) Schwangerschaften heraus, und Freunde und Familie schreien allen Ernstes „Hurra, sie ist schwanger, wie schöööön!“ (Und sie ist 15 und ihr nun Ex-Freund hat keinen Bock auf das Kind), aber so ist es da drüben nun einmal in manchen Fällen.
Fakt ist also: So schön und poetisch diese Komplimente sind, und ja, sie verdrehen einem manchmal den Kopf und man überlegt sich „Hat er das nicht vielleicht doch ernst gemeint?“, und man muss sagen, ja, die argentinischen Männer sehen verdammt gut aus und haben einen unglaublichen Charme, so gut wie jeder Frau wird das Gleiche hinterhergesagt, und dabei spielt es weniger eine Rolle dass sie hübsch ist, sondern viel mehr dass sie a) eine Frau ist und b) schöne Brüste und/oder einen schönen Hintern hat. Entweder man ignoriert das Ganze einfach oder man riskiert es und landet zu 98 % direkt in der Kiste mit einem fremden Kerl und die restlichen 2 % stehen für eine Beziehung oder irgendetwas dergleichen.